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Werner Siebler, ein Betroffener des RadikalenerlassesFoto: Stefan Pangritz

Briefe zustellen, das war der Beruf von Werner Siebler. Bereits als 14-Jähriger begann er für die damalige Deutsche Bundespost zu arbeiten. Briefzustellung war zu dieser Zeit noch eine hoheitliche Aufgabe, die Zusteller*innen wurden verbeamtet. Doch zum Beamten auf Lebenszeit wurde Siebler nicht ernannt. Der Grund: Sieblers Mitgliedschaft in der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Diese war nach dem am 28. Januar 1972 in Kraft getretenen Radikalenerlass mit dem Beamtenstatus nicht vereinbar. Siebler erhielt 1984 ein Berufsverbot.

Er war zeitweise arbeitslos oder arbeitete als Kraftfahrer. Zwar kämpfte er sich 1991 vor Gericht in die Briefzustellung zurück, aber als Angestellter. Seit 2019 ist er im Ruhestand – und spürt jeden Monat die Folgen des Berufsverbots. Nach eigenen Angaben hat er mittlerweile 600 Euro weniger im Monat als ihm als Beamter auf Lebenszeit zugestanden hätte.

Im Januar jährt sich der Radikalenerlass zum 50. Mal. Siebler und seine Mitstreiter*innen haben sich im "Bundesarbeitsausschuss der Initiativen gegen Berufsverbote und für die Verteidigung der demokratischen Grundrechte" zusammengeschlossen. Der Ausschuss nutzt den 50. Jahrestag, um erneut auf die Situation der Betroffenen aufmerksam zu machen.

Bei einer Pressekonferenz aus Anlass des 50. Jahrestags berichtete Siebler, der Erlass schädige bis heute die demokratische Kultur. Immer wieder würden Beamtenanwärter*innen von politischem Engagement absehen, weil sie Angst hätten, dann keine Stelle mehr im Öffentlichen Dienst zu bekommen. Daher sammeln die Mitstreiter*innen Unterschriften unter dem Aufruf "50 Jahre Berufsverbote – Demokratische Grundrechte verteidigen". Denn die Formulierung im Koalitionsvertrag, Verfassungsfeinde sollen schneller aus dem öffentlichen Dienst entfernt werden können, alarmiert den Ausschuss. In altbewährter Form werde dabei Extremismus links wie rechts gleichgesetzt, heißt es in dem Aufruf. Den Termin für eine Aktionswoche haben sie bewusst auf Mitte Mai verschoben, in das Vorfeld des 23. Mai, den Tag, an dem 1949 das Grundgesetz in Kraft getreten ist. "Wir waren nie Verfassungsfeinde", betonte Siebler. "Die sitzen an ganz anderen Stellen hier im Land." Der Bundesausschuss macht sich dafür stark, die Auswirkungen des Radikalenerlasses aufzuarbeiten, Betroffene zu rehabilitieren und zu entschädigen.

1972 trat der sogenannte Radikalenerlass in Kraft. Die Ministerpräsidenten der Länder stimmten gemeinsam mit der Bundesregierung unter Bundeskanzler Willy Brandt, SPD, darin überein, sogenannte Verfassungsfeinde nicht im öffentlichen Dienst zu beschäftigen. Brandt, der in seiner Jugend als radikal links galt, entschuldigte sich später dafür. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und seine Mitglieds-Gewerkschaften, darunter die ver.di-Vorläuferinnen wie die ÖTV und die DPG, hatten in den 1970er Jahren Unvereinbarkeitsbeschlüsse gefasst.

Im Laufe der Jahre sorgte der Radikalenerlass dafür, dass rund 1.500 Männer und Frauen nicht in den Staatsdienst aufgenommen wurden, darunter viele Lehrer*innen, aber auch Briefzusteller*innen wie Werner Siebler. Als erstes Bundesland hob das Saarland den Erlass 1985 formell auf. Weitere Bundesländer folgten, Bayern stellte als letztes Land 1991 die Regelanfrage ein. Sie wurde dort allerdings durch einen Fragebogen ersetzt. Der kann noch heute zu Schwierigkeiten bei einer Einstellung im Öffentlichen Dienst in Bayern führen.

Mehr Infos

Ein Portrait von Werner Siebler stand auch in der ver.di publik 02/2019, nachzulesen unter

Der Journalist Hermann G. Abmayr hat sich in einem Filmbeitrag mit der "Jagd auf Verfassungsfeinde – der Radikalenerlass und seine Opfer" auseinandergesetzt. Er ist noch bis zum 17. Januar 2023 in der ARD-Mediathek abrufbar unter